Lynchmord an Emmett Till: Stacheldraht wurde ihm um den Hals gebunden - WELT (2024)

Geschichte Lynchmord an Emmett Till

Mit Stacheldraht wurde ihm eine Maschine an den Hals gebunden

Weil er eine Weiße belästigt haben soll, wurde der 14-jährige Afroamerikaner Emmett Till 1955 in Mississippi bestialisch ermordet. Die Mörder gingen straffrei aus. Jetzt schließt das US-Justizministerium die Akten – ohne weiteres Verfahren.

| Lesedauer: 4 Minuten

Von Florian Stark

„Till we‘re free“

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Emmett Till aus Chicago war 14 Jahre alt, als er im Sommer 1955 die Familie seines Onkels in Money im US-Bundesstaat Mississippi besuchte. Am 24. August betrat er mit seinen Cousins den Lebensmittelladen von Carolyn Bryant, die auf der Highschool einige Jahre zuvor zur Schönheitskönigin gewählt worden war. Beim Abschied soll er der weißen Frau hinterher gepfiffen haben. Vier Tage später war Emmett Till tot.

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Mehr als 66 Jahre nach dem rassistischen Lynchmord an Till hat das US-Justizministerium eine Untersuchung zu dem Fall beendet. Dies sei den Angehörigen von Till mitgeteilt worden, bestätigte ein Sprecher. Die Hinterbliebenen zeigten sich enttäuscht über die Nachricht, dass weiterhin niemand für die Tat zur Rechenschaft gezogen wird, die als Fanal für die Bürgerrechtsbewegung in die Geschichte eingegangen ist.

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Der Fall machte damals landesweit Schlagzeilen. Vier Tage nach dem Besuch im Laden von Mrs. Bryant erschienen deren Ehemann Roy Bryant und dessen Halbbruder John William Milam bewaffnet beim Haus von Tills Onkel und verlangten dessen Übergabe. Mit Gewalt zerrten sie den Jungen in einen Wagen und verschwanden.

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Am 31. August wurde seine Leiche am Ufer des Flusses Tallahatchie entdeckt. Um den Körper unter Wasser zu halten, hatten die Täter ihm Stacheldraht um den Hals gewickelt, an dem zur Beschwerung eine Entkörnungsmaschine für Baumwolle befestigt war. Zahlreiche Wunden am Körper zeigten, dass Till vor seinem Tod gefoltert worden war. Erst ein Ring am Finger ermöglichte die sichere Identifikation. Ein Kopfschuss hatte seinem Leiden ein Ende gesetzt.

Einen Monat später wurde Roy Bryant und Milam der Prozess gemacht. Die aus Weißen bestehende Jury brauchte nur fünf Verhandlungstage, um sich ein Urteil zu bilden: nicht schuldig. Ein Reporter beschrieb die Stimmung im Gerichtssaal: „Im Zuschauerraum wurde geplaudert, gelacht und auf den für Weiße reservierten Plätzen wurden wahre Picknicks veranstaltet.“

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Wenige Monate später gaben die beiden Freigesprochenen gegenüber dem „Look Magazine“ zu, die Tat begangen zu haben. Dafür erhielten sie vom Verlag ein Honorar von mehreren tausend Dollar. Der Grundsatz in der amerikanischen Rechtsprechung, dass man nicht zweimal in derselben Sache vor Gericht gestellt werden kann, bescherte ihnen Straffreiheit.

2004 leitete das US-Justizministerium erneut eine Untersuchung zum Mord an Till ein, nachdem Anfragen eingegangen waren, ob eine Anklage gegen noch lebende Personen möglich sei. Damals hieß es zwar, dass der Fall nach dem Bundesrecht verjährt sei. Doch prüfte das FBI mit Ermittlern auf Staatsebene ein mögliches neues Strafverfahren. Im Februar 2007 lehnte eine Grand Jury in Mississippi dies jedoch ab. Bryant und Milam mussten nicht wieder vor Gericht. Inzwischen sind beide tot. Donham lebt mittlerweile in Raleigh in North Carolina.

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2017 zitierte der Autor Timothy Tyson in seinem Buch „The Blood of Emmitt Till“ (Simon & Schuster) aus einem Interview mit Carolyn Bryant (inzwischen verheiratete Donham), das er 2007 mit ihr geführt hatte. Darin widerrief sie ihre Darstellung vor Gericht, dass Till sie anzüglich an der Taille gefasst und gepfiffen habe.

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Daraufhin nahm das US-Justizministerium 2018 erneut Ermittlungen auf. Darin erklärte Carolyn Bryant Donham, sie habe zu keinem Zeitpunkt ihre Anschuldigungen widerrufen. Timothy Tyson konnte ihre Aussagen in seinem Buch nicht durch Tonbandaufnahmen verifizieren. Er habe nur eine schriftliche Notiz vorweisen können, heißt es.

Daher gebe es nicht genügend Beweise, um Donham zweifelsfrei nachzuweisen, dass sie die Ermittler angelogen habe, heißt es in einer Stellungnahme des Justizministeriums. Der Fall werde zwar ohne Strafverfolgung abgeschlossen, doch nehme die Regierung damit nicht die Position ein, dass die Zeugenaussage der Frau vor einem staatlichen Gericht 1955 wahrheitsgemäß oder korrekt gewesen sei, teilte das Ministerium weiter mit. Es gebe nach wie vor erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Darstellung der Ereignisse, der andere widersprochen hätten, die damals bei Till gewesen seien. Dazu gehöre eine Schilderung eines noch lebenden Zeugen.

Dass der Fall nun endgültig zu den Akten gelegt wird, sorgte bei den Angehörigen für Enttäuschung: „Ich habe keinen Hass in meinem Herzen, aber ich hatte gehofft, dass wir eine Entschuldigung bekommen, aber dazu kam es nicht“, sagte Thelma Wright Edwards, eine der Cousinen von Till, in Chicago. Sie sei tief betrübt, aber nicht überrascht, dass es keine neue Anklage gebe. „Nichts ist geklärt. Der Fall ist abgeschlossen, und wir müssen jetzt von hier aus weitermachen.“

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